Die Schweizer Ökonomin Prof. Monika Bütler wuchs in einer zum Ende des letzten Jahrhunderts üblichen Familienkonstellation auf: Ihr Vater arbeitete, die Mutter blieb zuhause bei den Kindern. Ihr selbst war klar, dass sie auf keinen Fall ihre Karriere in der Wissenschaft zugunsten der Familie aufgeben wollte – oder ihre Familie aufgrund beruflicher Verpflichtungen zu kurz kommen sollte. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie machte sie später sogar zum Thema ihrer Forschung – mit ernüchternden Ergebnissen: Gerade für gut ausgebildete Frauen lohnt es sich in der Schweiz finanziell oft nicht, in einem hohen Pensum weiterzuarbeiten, beim zweiten erst recht nicht mehr. Im Gespräch berichtet sie von ihren eigenen Erfahrungen als Mutter und Berufsfrau, die gesellschaftliche Verantwortung und warum es sie ab und zu ernüchtert, wenn sie mit jungen Menschen darüber diskutiert.
Sie haben zwei Söhne und eine akademisch erfolgreiche Karriere, stammen aber aus einem Elternhaus mit klassischer Rollenverteilung. Wie hat Sie das beeinflusst?
Meine Eltern legten viel Wert auf Anstand, liessen uns aber viele Freiheiten. Auch mein Mann und ich sind in vielerlei Hinsicht sehr liberal in Hinblick auf die Erziehung unserer jetzt erwachsenen Kinder gewesen. Meine Geschwister und ich wuchsen relativ abgeschieden auf, der Kontakt untereinander war sehr wichtig – und ist es immer noch. Ich wünschte mir kein Einzelkind, und ich wollte, dass unser Haus immer für andere Kinder offen war. Meine Mutter interpretierte die ihr zugewiesene und ungeliebte Rolle als Hausfrau recht locker und hatte daher immer ein wenig ein schlechtes Gewissen. In dieser Hinsicht unterscheide ich mich sehr von ihr, ich schäme mich nicht dafür, wenn mal etwas chaotisch läuft.
Als Sie zum ersten Mal Mutter wurden, befanden Sie sich bereits in einer erfolgreichen akademischen Laufbahn. Standen Sie je vor der Entscheidung, sich für eines von beiden entscheiden zu müssen?
Ich habe mir die Frage gar nicht gestellt, meine berufliche Unabhängigkeit und Eigenständigkeit waren mir immer sehr wichtig. Lange Zeit wusste ich nicht, ob ich Kinder haben möchte. Der Wunsch kam erst später. Und während eines Forschungsaufenthaltes in den USA habe ich erlebt, dass es selbstverständlich ist, Karriere an der Universität zu machen und eine Familie zu haben. Auf meinen Beruf zu verzichten wäre mir niemals in den Sinn gekommen.
Sie wurden in den Nullerjahren Mutter: Wie war das damals in der Schweiz?
Kinder und Karriere war damals für Frauen noch selten, die Mütter mussten dafür kämpfen. In meinem Umfeld war die Anerkennung dieser Entscheidung noch etwas beschränkt. Und manchmal gab es auch Diskussionen mit meinem Partner. Mir war immer klar, dass wir uns beide gleich engagieren, und keiner mehr als der andere zurückstecken musst. Das haben wir gemeinsam geschafft. Auch für ihn war es nicht leicht. Wir hätten uns damals bereits gute Betreuungsangebote gewünscht. Damals gab es in der Schweiz noch viel zu wenig Angebote.
Die Krippe an der Universität betreute die Kinder an maximal 3.5 Tagen. Mein Mann arbeitete bei der Nationalbank. Die Krippe dort nahm Kinder nur auf, deren Mütter bei der Bank angestellt waren. Das liegt erst 20 Jahre zurück. Ich bin froh, dass sich einiges getan hat seither.
Wie haben Sie es trotz der herausfordernden Umstände geschafft?
Mit viel Organisation, etwas Chaos, Patchwork, Kompromissen und familiärer Unterstützung. Unser Erfolgsrezept war eine Kombination aus Nannys, Krippe und der Zusammenarbeit mit meiner alleinerziehenden, ebenfalls voll berufstätigen Schwester. Wir teilten uns auf: An jedem Tag der Woche hatte entweder sie, mein Mann oder ich die Verantwortung für die Kinder. Ich hatte entweder kein Kind oder drei auf einmal. Wurde eines krank, sagte die Verantwortliche ihre Termine ab, die Kinder hatten Priorität. Bei Haushalt, Ordnung und vor allem Freizeit mussten wir Abstriche machen, aber es hat funktioniert.
Gibt es etwas, das Sie als Mutter bereuen?
Ich hätte ab und zu gerne mehr Zeit für meine Kinder und für mich selbst gehabt. Ein schlechtes Gewissen habe ich deswegen nicht. Letztlich hat jede Entscheidung über die Arbeitsteilung in der Familie und im Beruf ihren Preis. Aber es gab natürlich auch Momente, in denen ich das Gefühl hatte, etwas falsch zu machen. Im Rückblick denke ich, dass das schlechte Gewissen geschlechtsspezifisch ist. Frauen neigen eher dazu als Männer. Mein Partner war viel besser darin, Bedenken zu ignorieren.
Gab es bei Ihnen beruflich Situationen, wo Sie den Eindruck hatten, wegen Ihrer Mutterrolle benachteiligt
zu werden?
Es ist eine Illusion, dass eine Mutterschaft nichts kostet – auch für diejenigen, die 100 % arbeiten. Mein zweiter Sohn hatte als Baby eine schwere Meningitis-Entzündung, die uns als Eltern auch psychisch sehr forderte. Das hat sich in meinem akademischen Lebenslauf niedergeschlagen und wurde mir in einem Nationalfondsprojekt prompt zum Vorwurf gemacht. Das war hart. Als Wissenschaftlerin sind Publikationen in hochrangigen Zeitschriften wichtig. Mit kleinen Kindern leidet die Forschungstätigkeit meistens. Daher habe ich viel stärker auf öffentliche Auftritte gesetzt, was sich für mich ausbezahlt hat.
Sie haben an der Universität viele junge Menschen unterrichtet. Ist diese Generation emanzipierter als Ihre es war?
Da bin ich mir nicht immer so sicher. Für meine Generation war es nicht selbstverständlich, Familie und Beruf vereinbaren zu können. Wir haben für die Vereinbarkeit kämpfen müssen, was unser Denken bis heute beeinflusst. Mir fehlt dieser Wille, etwas aus eigener Kraft verändern zu wollen heute manchmal etwas. Zu schnell wird die Gesellschaft als Verantwortliche für Ungleichheiten gesehen. Viele junge Frauen ordnen noch immer ihre Berufswahl der Möglichkeit unter, später als Mutter Teilzeit zu arbeiten – und arrangieren sich so bereits mit der Rolle der Hauptbetreuerin. Ich höre manchmal auch das Argument, dass sich junge Frauen nicht mehr so abrackern wollen wie ihre Mütter es getan haben. Einerseits verstehe ich dies, andererseits irritiert es mich auch. Rückblickend war es sicher anstrengend, manchmal schwierig, es gab Krisen. Ich hätte es aber auf keinen Fall anders haben wollen. Natürlich gibt es noch immer die überholten Rollenbilder. Denen sind übrigens auch die jungen Männer ausgesetzt: Die Vorstellung, dass in erster Linie sie die Rolle des Ernährers der Familie übernehmen, ist nicht ausgeräumt.
Hat sich in der Schweiz diesbezüglich zu wenig bewegt?
Ich sehe viele junge Paare, die anders aufgestellt sind als noch vor zwanzig Jahren. Aber es gibt auch viele, bei denen die Rollenverteilung traditionell ist – manchmal allerdings auch mit umgekehrten Vorzeichen, wenn der Vater zuhause bleibt. Eigentlich ist es ja schön, dass wir in der Schweiz diese Wahlfreiheit überhaupt haben. Egal, in welcher Beziehungskonstellation: Die Rolle des Partners ist entscheidend. Wir reden viel zu viel über Organisatorisches bei der Kinderbetreuung. Viel wichtiger ist, dass diese auf Augenhöhe und partnerschaftlich erfolgt. Ich wünschte mir, dass Paare mehr darüber streiten.
Sie haben 2005 Ihre Antrittsvorlesung über Care-Arbeit gehalten, bei der es auch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging. Die Kernaussage lautete: Gerade für gut ausgebildete Frauen lohnt es sich in der Schweiz finanziell nicht, beim ersten Kind in einem hohen Pensum Kind weiterzuarbeiten – und beim zweiten erst recht nicht. Stimmt dieser Befund heute noch?
Hier hat sich doch einiges geändert. Es gibt zwar immer noch negative Anreize, aber viele Kantone und Gemeinden haben versucht, diese mindestens zu mindern – mit Subventionen, mit neuen Strukturen, mit anderen Preissetzungen. Die Verfügbarkeit von Betreuungsangeboten ist viel grösser geworden, die Zuteilung einfacher. Wer heute einen Platz braucht, findet meistens einen. Es ist aber immer noch so, dass die finanzielle Belastung sehr hoch ist, gerade für jüngere, gut ausgebildete Mütter und Väter. Jedes Unterstützungssystem hat negativen Seiten, auch das viel gelobte Skandinavische. Die Frage ist: Sind wir weit genug gekommen? Wahrscheinlich nicht. Es gibt immer noch Fälle, bei denen die Kosten Betreuung der Kinder das Einkommen übersteigen. Mindestens für einige Jahre.
Laut Ihrer Studie waren es vor allem gut ausgebildete Frauen, die auf Karriere verzichteten. Ist dem immer noch so, angesichts des verbesserten Angebots?
Wir sehen immer noch, dass Mütter selten wieder voll in den Beruf einsteigen. Auch dann nicht, wenn die Kinder älter sind. Darum ist die Diskussion über Ausmass und Folgen der Teilzeitbeschäftigung so wichtig. Warum das so ist? Darauf habe ich keine empirische Antwort. Ein Faktor ist die Familienbesteuerung, welche den Zweitverdienst hoch belastet. Ein weiterer ist sicher, dass es in Teilzeit möglich ist, seine Zeit selbst einteilen zu können, was bei einer Vollanstellung schwierig ist. In vielen Berufen macht eine längere Absenz den Wiedereinstieg schwierig, weil die fachliche Entwicklung sehr dynamisch ist. Und generell gilt, dass je länger eine Mutter zuhause bleibt, desto schwerer die Rückkehr in den Beruf fällt.
Was würden Sie jungen Frauen mitgeben?
Macht kluge Kompromisse und gebt nicht vorschnell zugunsten der Familie eure beruflichen Ziele auf! Kinder werden schnell gross, die Zeit der schwierigen Vereinbarkeit ist übers Leben gesehen kurz. Verhandelt mit Eurem Partner, auch wenn es nicht angenehm ist. Sucht euch euren Beruf nicht nach dem Kriterium der Vereinbarkeit aus, sondern nach euren Kompetenzen und Ambitionen. Es zeigt sich zum Beispiel, dass bei Berufen in eher technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen, die als nicht sehr frauen- und familienfreundlich gelten, heute händeringend gut ausgebildete Frauen gesucht werden und sehr flexibel auf Vereinbarkeitswünsche reagiert wird. Bei «traditionellen» Frauenberufen hingegen rollt niemand den roten Teppich aus.
«Aber es gab natürlich auch Momente, in denen ich das Gefühl hatte, etwas falsch zu machen. Im Rückblick denke ich, dass das schlechte Gewissen geschlechtsspezifisch ist. Frauen neigen eher dazu als Männer. Mein Partner war viel besser darin, Bedenken zu ignorieren.»