Im Jahr 2000 gründete Gina Domanig Emerald Ventures, den ersten unabhängigen Clean Tech-Risikokapitalfonds Europas. Zuvor war sie als Senior Vice President bei Sulzer, einem multinationalen Schweizer Unternehmen, tätig. Ihr gesamtes Berufsleben hat die gebürtige Amerikanerin immer in Vollzeit gearbeitet – auch nach der Geburt ihres Sohnes. Als ihr Mann vorschlug, dass sie eine berufliche Pause einlegen könne, lachte sie nur. Und ist bis heute sehr glücklich mit ihrer Entscheidung.
Gina Domanig wählt ihre Worte mit Bedacht, aber trotzdem klar und deutlich: «Nicht zu arbeiten kam für mich einfach nie in Frage», stellt sie fest. Der Grund hierfür liegt in der kulturellen Prägung ihres Heimatlandes Amerika. Dort lebte sie, bis sie gemeinsam mit ihrem Mann Ende der Achtzigerjahre in sein Heimatland, die Schweiz, zog. «Seit ich denken kann, ist jeder um mich herum immer einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen», erinnert sie sich. «Ich kenne es einfach nicht anders.» Kurz vor dem Umzug in die Schweiz schlug ihr Ehemann ihr vor, dass sie in Europa nicht mehr arbeiten müsse. «Heute weiss er, dass es ein merkwürdiger Vorschlag war. Arbeit ist ein bedeutender Teil von mir, ein Teil meiner Identität», sagt Gina Domanig. Ohne ihren Beruf wäre sie einfach nicht glücklich.
Der Tag hat nur 24 Stunden
Neben ihrer Funktion bei Emerald Technology Ventures sitzt Gina Domanig im Verwaltungsrat der Versicherung Die Mobiliar, im International Advisory Board des Innovation Fund Denmark, hält den Executive Co-Chair Innovation beim World Energy Council und hat Posten in Verwaltungsräten einiger Tech-Startups. Unseren Gesprächstermin haben wir vereinbart, kurz bevor sie nach Singapur fliegt. Emerald hat dort und in Toronto weitere Büros. Heute ist es für sie wieder problemlos möglich, beruflich viel zu reisen. Ihr Sohn ist gross und freut sich inzwischen über Zeit ohne seine Eltern. Als er kleiner war und Betreuung benötigte, setzte die Investorin auf die Unterstützung einer ausgebildeten Nanny. «Wir waren sehr dankbar, dass das für uns möglich war,» erinnert sie sich. Für sie selbst war dies eine Zeit, in der sie oft Entscheidungen treffen musste. «Ich habe mich damals für meine Arbeit und meinen Sohn entschieden. Das bedeutete für mich selbst, dass ich oft das Gefühl hatte, dass nicht jeder zu hundert Prozent glücklich damit war. Sei es in der Familie, in der Schule meines Sohnes, im Freundeskreis oder auch einfach ich selbst.»
Was es leichter machte, waren die Arbeitsbedingungen in der Neunzigerjahren: Wenig digitale Kommunikation, keine Videokonferenzen, keine Mails. «Wenn man das Büro verliess, verliess man auch die Arbeit. Man konnte nicht von überall arbeiten. Wenn ich zuhause war, hatte ich Zeit für meine Familie.» Musste sie damals auf etwas verzichten? «Ohne Verzicht funktioniert es nicht», sagt sie. «Ich habe meine Freunde und Freundinnen in der Zeit wenig gesehen. Ich bin kaum ausgegangen, war nicht auf Networking Events. Als ich damit wieder anfing, schauten die Leute mich verwundert an und fragten, warum sie mich noch nie zuvor gesehen hatten. Ganz einfach, weil ich entweder bei der Arbeit oder bei meiner Familie war. Aber das habe ich mir bewusst ausgesucht und es war genau die richtige Entscheidung. Man muss auch mit den weniger positiven Konsequenzen leben können.»
Eine gemeinschaftliche Verantwortung
Auch Ginas Ehemann arbeitete immer in Vollzeit. «Er hat mich bei allem immer unglaublich unterstützt», hebt sie diesen für sie wichtigen Faktor hervor. Für sie ist es entscheidend, anzuerkennen, dass eine Familie und eine Karriere eine gemeinsame Verantwortung von zwei Menschen sind. Da ihr Mann beruflich weniger reisen musste als sie, war es für Gina einfacher, ihre Reisen zu koordinieren. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie beide sich untereinander organisiert haben, um Zeit für die Familie zu schaffen und dem jeweils Anderen den Rücken freizuhalten. «Ich koche zum Beispiel sehr gerne. Er hasst es. Ich habe Mahlzeiten vorbereitet und meinen beiden Jungs kleine Zettel hinterlassen, was sie an welchem Tag essen sollten, wenn ich unterwegs war», lacht sie.
Was sie bis heute irritiert, ist die Wortwahl der Menschen. «Ich wurde oft gefragt, ob mein Mann mir helfe. Ich finde es wichtig, zu verstehen, dass es nicht die alleinige Verantwortung der Frau ist, sich um ein Kind zu kümmern. Der Vater hilft nicht nur, er teilt sich die Pflichten und Verantwortungen mit der Mutter. Es ist eine Aufgabenteilung auf Augenhöhe.» Zu der Zeit als ihr Sohn die Schule besuchte, war diese Auffassung noch keine Selbstverständlichkeit. Eine Geschichte blieb ihr dazu besonders in Erinnerung. Als sie um 23 Uhr von einer Geschäftsreise zurück nach Hause kam, fand sie einen handgeschriebenen Zettel ihres Sohnes im Flur. Darauf hatte er
eine simple Bitte notiert: «Mama, ich brauche morgen früh 25 Brownies.» Die Brownies wurden nicht gebacken. Stattdessen fuhr Gina zur Bäckerei und kaufte Kuchen. «Natürlich gab es keine Brownies und ich musste etwas anderes kaufen», lacht sie. Dann wird sie wieder ernst. «Für mich hat das gezeigt, dass die gesamte Gesellschaft anerkennen muss, dass es eben nicht immer Mama ist, die backt. Ich habe meinen damals sechs Jahre alten Sohn gefragt, warum er nicht seinen Papa gebeten hat, die Brownies zu backen. Er wäre zuhause gewesen. Und seine Antwort war, dass er es für mich notiert habe, weil die Lehrerin explizit gesagt hat, dass er seine Mutter fragen soll.»
Lass Dich nicht beirren
Da ihr Sohn ein Einzelkind ist, legte Gina grossen Wert darauf, dass er regelmässig mit anderen Kindern zusammenkam. Sie selbst hat drei Geschwister und liebte es, zusammen mit ihnen aufzuwachsen. Daher war sie dankbar für die Möglichkeit, ihn an zwei Tagen in der Woche in der Kita betreuen zu lassen. «Da hat er zu Beginn schrecklich geweint, wenn ich ging. Aber dann rief mich die Kita später an und sagte, dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Er ist dann meist sofort zu den anderen Kids gegangen, um mit ihnen zu spielen.» Dennoch benötigte die Familie auch an diesen Tagen die Hilfe der Nanny. Die Kita bot damals noch keine ganztägige Betreuung an.
Müttern, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, rät Gina, zu akzeptieren, dass man nicht alles haben kann und es immer etwas geben wird, das nicht perfekt ist. Wer seine Entscheidungen sorgsam abwägt, wird eine Lösung finden. Sie selbst hat die Abstriche, die sie machen musste, nie als negativ empfunden. Das Bewusstsein, sich aktiv für Familie und Beruf entschieden zu haben, gab ihr Rückenwind. «Ich würde niemandem meinen Lebensentwurf aufdrücken wollen, weil jeder anders mit den fordernden Aspekten davon umgeht. Menschen sollten selbst entscheiden, was das Beste für sie ist. Was die Gesellschaft von ihnen erwartet, sollte bei dieser Entscheidung keine Rolle spielen.»
«Ich finde es wichtig, zu verstehen, dass es nicht die alleinige Verantwortung der Frau ist, sich um ein Kind zu kümmern. Der Vater hilft nicht nur, er teilt sich die Pflichten und Verantwortungen mit der Mutter. Es ist eine Aufgabenteilung auf Augenhöhe.»