Katja Berlinger ist Rechtsanwältin, Unternehmerin und hat einen MBA an der renommierten INSEAD Business School absolviert. Mit ihrem Unternehmen Swiss Medi Kids engagiert sie sich dafür, dass jedes Kind die bestmögliche medizinische Versorgung bekommt. Als entscheidend für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für sie die Wahl des Partners und die gemeinsame Entscheidung über die Aufgabenverteilung. Mit ihrem Mann hat sie ein damals noch ungewöhnliches Modell gewählt – und würde ihm für diese Pionierleistung heute gerne einen Orden verleihen.
Als Sie das erste Mal schwanger wurden, haben Sie sich zeitgleich selbstständig gemacht. Haben Sie in dieser Zeit jemals Sorgen gehabt, dass es nicht gelingen könnte, beides zu vereinen?
Natürlich. Ich habe mir immer wieder Sorgen gemacht. Mein Mann und ich haben uns ganz bewusst in dieser Phase im Lebensstandard eingeschränkt, um sicherzugehen, dass der Druck nicht zu gross wird.
Gab es Momente, die besonders herausfordernd waren?
Mutter sein ist eine wundervolle, aber auch eine fordernde Aufgabe, die einem immer wieder das eigene Wesen spiegelt. Es ist wichtig, konsequent Grenzen zu setzen. Das fällt mir nicht immer leicht. Ich strauchle immer wieder, weil ich gerne nachgeben würde, aber nicht sollte.
Was hat Ihnen in solchen Momenten geholfen?
Zu wissen, dass nur eine gute Erziehung meine Kinder zu glücklichen und guten Menschen machen wird.
Ihr Mann kümmert sich hauptsächlich um ihre beiden Kinder. Wie haben Sie als Paar diese Entscheidung getroffen?
Ich halte die Wahl des Lebenspartners für die wichtigste Entscheidung im Leben. Sie bestimmt, wie wir unser Leben verbringen, wie wir als Familie leben und eben auch, wie frei man in der Berufswahl ist und bleibt. Mein Mann hat, nachdem sein eigenes Unternehmen in sehr schwierigen Umständen war, selbst vorgeschlagen, dass wir es so versuchen. Wir haben aber auch vereinbart, dass wir uns regelmässig austauschen, ob diese Aufgabenteilung weiterhin für beide funktioniert. Mittlerweile sind wir sehr glücklich darüber, dass mein Mann auch in unsere Familienunternehmen «Swiss Medi Kids» einsteigen konnte. Wesentlicher Teil unserer Rollenaufteilung war die Abmachung, dass ich keine Mandate mit langen Abwesenheiten im Ausland annehmen würde und abends mehrheitlich zu Hause sein würde. Daran habe ich mich gehalten.
Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert? Waren alle offen gegenüber diesem Modell oder gab es auch verwunderte Blicke?
Zu Beginn stiess unsere Entscheidung auf sehr viel Unverständnis, insbesondere in meinem beruflichen Umfeld. Nachbarn und Eltern von Schulfreunden reagierten ebenfalls überrascht. Mittlerweile haben sich die Zeiten ein bisschen geändert. Die Entscheidung ist in den Alltag übergegangen und wird respektiert. Mein Mann war seiner Zeit einfach voraus und hat pionierhaft vorgelebt, dass auch eine umgekehrte Rollenverteilung sehr gut funktionieren kann. Dafür sollte er eigentlich einen Orden bekommen.
Wie gestalten Sie Ihren Alltag als Unternehmerin und Mutter?
Seit ich Kinder habe, gibt es nur zwei Prioritäten in meinem Leben. Meine Familie und meine unternehmerischen Tätigkeiten. Alles andere steht für die Zeit, in der meine Töchter noch gerne Zeit mit uns verbringen möchten, hintenan. Wir gestalten unsere Familienzeit stressfrei und ohne viele Verabredungen. Eigentlich verbringe ich die meisten Abende und Wochenenden ganz bewusst mit der Familie und tue das auch liebend gern so.
Welche Hürden gibt es in der Schweiz für berufstätige Mütter?
Für Unternehmerinnen ist die Ausgestaltung des Mutterschaftsurlaubs eine absolute Katastrophe. Wer in einem Kleinstpensum weiter arbeitet, zum Beispiel nur eine Sitzung besucht, verliert den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung komplett. Viel sinnvoller wäre beispielsweise eine Wahlmöglichkeit - ein Kleinpensum halten zu dürfen und auf einen Teil der Entschädigung zu verzichten. Wer als selbständige Anwältin oder Verwaltungsrätin für vier Monate Vertreter suchen muss, läuft grosse Gefahr, diese Mandate letztlich ganz an seine Vertreter zu verlieren. Es ist ausserdem stossend, dass die Regelung kürzlich für Politikerinnen abgeändert wurde, nicht aber für alle berufstätigen Mütter. Die Schulen sind immer noch nicht auf Blockzeiten ausgerichtet und die Kinder haben in der Regel sehr unterschiedliche Stundenpläne. Leider ist die gesellschaftliche Einstellung zu berufstätigen Müttern immer noch sehr traditionell.
Was kann man gegen eine Benachteiligung von Müttern im beruflichen Umfeld tun?
Viele Mütter, die sich für einen Ausstieg aus dem Job entscheiden, sind sich nicht bewusst, dass sie mit ihrer Entscheidung unter Umständen ihre eigene Altersarmut verursachen. Sie werden in einer Scheidung nicht mehr im selben Ausmass geschützt sein wie unter dem alten Scheidungsrecht. Würden wir bewusster machen, dass es eben auch für Mütter wichtig wäre, sich fürs Alter abzusichern, würde die Zahl berufstätiger Mütter ansteigen. Dann könnte sich der Sonderstatus in einen Normalstatus wandeln. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels werden wir darum ohnehin nicht herumkommen.
Welche Rolle spielen gute Betreuungsangebote für Sie und Ihre Familie oder welche Rolle haben sie gespielt?
Gute Kinderkrippen sowie sinnvolle Randzeitenbetreuung in Schulen sind essenziell, damit man seinem Beruf auch ungestört und mit einem guten Gefühl nachgehen kann.
Was würden Sie Frauen raten, die Familie und Beruf vereinbaren wollen?
Das Wichtigste ist, dass die Familie im eigenen Universum die Rollen klar verteilt und diese auch einhält. Die Regeln sollten je nach Alter der Kinder und Situation der Partner auch immer wieder angepasst werden, um sicherzustellen, dass alle Familienmitglieder mit der Rollenverteilung mehrheitlich zufrieden sind.
Kindertagesstätten, egal ob einzelne Kitas oder Kita-Netzwerke wie globegarden, werden in der Schweiz fast zu 100 % durch Frauen geführt. Häufig gehen die Initiativen bis heute auf Mütter zurück. Betreuungspersonen in den Einrichtungen sind ebenfalls mehrheitlich Frauen. Frauen scheinen hier für Frauen einzustehen. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Ich kann das zu wenig beurteilen, aber generell glaube ich an die Macht von Diversität und hoffe, dass auch mehr junge Männer einen Beruf in der Kinderbetreuung ergreifen werden. Ich habe immer Freude, wenn sich bei uns ein männlicher Medizinischer Praxisassistent bewirbt. Auch gesellschaftlich sollten wir von den Stereotypen in der Berufswahl wegkommen. Das wird aber nur gelingen, wenn wir es eben auch vorleben.
Sie sind Geschäftsführerin der Swiss Medi Kids AG. Warum ist es wichtig, sich für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ganz besonders einzusetzen?
Leider sind die Rahmenbedingungen für die Kinder- und Jugendmedizin in der Schweiz absolut ungenügend. Das ist für ein Land mit unserem Wohlstand bedenklich. Dies zu ändern ist zu meiner Berufung geworden, und wir kämpfen sowohl mit «Swiss Medi Kids» als auch politisch dafür.
Gerade die Gesundheitsbranche ist eigentlich wenig flexibel. Wie schaffen Sie bei Swiss Medi Kids trotzdem Voraussetzungen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinfachen?
Wir haben uns sehr früh dazu entschieden, jegliche Form von Teilzeitarbeit anzubieten. Heute haben wir 150 Mitarbeiter, die sich 75 Vollzeitstellen teilen. Wir bieten Teilzeitmöglichkeiten ab fünf Prozent, fixe freie Tage oder fixe Diensttage. Die Pensen können jederzeit hoch oder runter mutiert werden. Durch die Grösse der Teams müssen zwar auch wir Leute zum Einspringen anfragen, aber es trifft einen viel seltener, weil wir eben viele Personen anfragen können. Die Personaladministration kostet uns natürlich etwas, aber so gelingt es uns erfolgreich, die Mütter nach der Mutterschaft im Team zu halten und nicht zu verlieren. Mein Traum ist es, mit möglichst vielen unserer Mitarbeitenden alt zu werden.
Gibt es bestimmte Werte, die Sie Ihren Kindern mitgeben?
Der Hauptgrund, um Kinder zu haben ist für mich, ihnen Werte mitzugeben. Darum ist es mir wichtig, trotz Berufstätigkeit bewusst Zeit für meine Kinder zu reservieren, damit ich ihnen meine Werte auch vorleben kann.
«Ich halte die Wahl des Lebenspartners für die wichtigste Entscheidung im Leben. Sie bestimmt, wie wir unser Leben verbringen, wie wir als Familie leben und eben auch, wie frei man in der Berufswahl ist und bleibt.»