Vorurteile hat jeder

Zum Glück lassen sich diese überwinden – wenn frühzeitig damit begonnen wird.

Mädchen tanzen besser als Jungen und stellen nicht so viel an. Dafür können Mädchen nicht so gut Fussball spielen und haben keine Ahnung von Autos. Das sind eindeutig Vorurteile, wenn auch harmlose. Das zeigt aber auch, wie früh sie sich bemerkbar machen. Auch das ist erst einmal nicht schlimm. Vor allem, weil wir Erwachsenen unseren Beitrag leisten können, damit sie sich nicht verfestigen.

Vorurteile hat jeder. Das bestätigt Andreas Beelmann, Professor an der Universität Jena in Deutschland. Als Direktor des Instituts für Psychologie ist er Experte in Sachen Vorurteile im Kindesalter: «Etwa im Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder zunächst das eigene Geschlecht, später auch die eigene ethnische Gruppe oder Nationalität zu bevorzugen.» Das gehöre zu einer ganz normalen Persönlichkeitsentwicklung. «Problematisch wird es erst dann, wenn die positivere Bewertung der eigenen sozialen Gruppe, die im Laufe der Identitätsbildung ganz automatisch einsetzt, irgendwann in Vorurteile, Benachteiligung und Diskriminierung anderer umschlägt.» Also wenn andere mittels Vorurteil abgewertet werden.

Vorurteile abbauen und Toleranz fördern

Die Beobachtung der Psychologen klingt erst einmal alarmierend: Ihrer Beobachtung nach nimmt die Entwicklung von Vorurteilen bei Kindern im Vorschulalter stetig zu und erreicht zwischen fünf und sieben Jahren einen Höhepunkt. Zugleich ist dieses Alter auch der ideale Zeitpunkt, um gegen Vorurteile vorzugehen. Beelmann ordnet diese These folgendermassen ein: «Dies spiegelt die normale geistige Entwicklung von Kindern wider. Während sie zunächst soziale Kategorisierungen von Erwachsenen, vorzugsweise den Eltern übernehmen, dann durch Abgrenzung von Personen anderer sozialer Gruppen ihre eigene Identität finden müssen, lernen sie später zu differenzieren und individuelle Bewertungsmuster gewinnen die Oberhand über pauschale Stereotype.» In diesem Alter sehen die Psychologen daher einen idealen Zeitpunkt, um gezielt gegen Vorurteile vorzugehen.

Wir Erwachsenen sind gefragt. 4 Tipps, um frühzeitig etwas gegen Gender Bias zu tun:

Tipp 1: Wie voreingenommen sind Sie selbst?
Wenn bereits kleine Kinder Schubladendenken entwickeln, dann sind Erwachsene echte Profis darin. Meist ohne es zu wollen. Aber es lässt sich kaum vermeiden, denn andauernd empfangen wir Signale die suggerieren, wie sich Frauen oder Männer zu verhalten haben. Ganz frei davon ist vermutlich niemand, wer aber seine Vorurteile oder Voreingenommenheit kennt, nimmt ihnen zumindest die Kraft.

Das Bewusstsein fängt bei der Sprache an. Beispielsweise, wenn wir kommentieren, wie «stark» oder «tapfer» der Junge oder wie «hübsch» und «lieb» das Mädchen ist. Klar kann der Junge stark und tapfer sein oder das Mädchen hübsch und lieb, es geht hier vielmehr darum, dass solche Eigenschaften gerne und vor allem häufig den jeweiligen Geschlechtern zugeschrieben werden. Deshalb sollten auch die Formulierungen «alle Mädchen» oder «alle Jungen» schleunigst aus dem aktiven Wortschatz gestrichen werden. Übrigens: Der Austausch mit guten Freunden hilft auch oft weiter, wenn man mögliche blinde Flecken identifizieren möchte.

Tipp 2: Kinderbücher
Kinder lieben Geschichten. Bücher sind ein starkes Mittel, die Kinder lernen unterschiedliche Lebenswelten kennen und smarte Jungen und coole Mädchen mit all ihren Stärken – und Schwächen. Jungen, die sich mit Mädchen identifizieren können und umgekehrt, werden später andere weniger oft pauschal bewerten oder gar abwerten.

Das bestätigt auch Erika Schulze, Professorin für das Lehrgebiet Soziologie der Kindheit und Jugend am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Mit den Büchern «Der Junge im Rock» oder «Echte Kerle» ging ihr Team im Rahmen des Forschungsprojekts «Kinder.Bilder.Bücher – Geschlecht im Bilderbuch und kindliche Prozesse des (un)doing gender» in zwei Kitas. Die verwendeten Bücher verbindet, dass sie Geschlechterstereotype durchbrechen oder Spielräume für Uneindeutigkeiten lassen, gerade auch in den Illustrationen. Das Ergebnis: «Wir haben beobachtet, dass nicht-stereotype Darstellungen von Geschlechtern dazu führen, dass die Kinder Geschlechternormen neu für sich verhandeln», so Schulze. Ist eine abgebildete Person mit langen Haaren ein Junge oder ein Mädchen? «Während für das eine Kind klar ist, dass es sich um eine ‚die‘ handeln muss, erklärt ein anderes Kind, dass es ja auch lange Haare habe, aber ein Junge sei. Und ein weiteres Kind ergänzt ‚Ja, Jungs haben auch lange Haare‘.»

Tipp 3: Mit gutem Beispiel voran
Toben, klettern, brüllen, malen, sich für den Kindergeburtstag schminken lassen – wie sich die Kinder ausdrücken, sollte nicht an Rollenbildern festgemacht sein. Bewerten Sie nicht, wenn Ihr Sohn den Tuturock seiner grossen Schwester mehr liebt als die Torwarthandschuhe, die er zum Geburtstag bekommen hat. Macht Sie das stutzig, ist es vielleicht Zeit, die eigenen Geschlechterbilder zu hinterfragen (siehe Tipp 1).

Der Papa, der die Hausarbeit genauso regelmässig macht und auch zum Putzlappen greift, die Mama, die Dübel in die Wand bohrt und den Rasenmäher bedient, der Opa, der kochen kann und die Oma, die Auto fährt. All das sind Beispiele, die Klischees entgegen laufen. Und je mehr solcher Beispiele das Kind sieht, desto besser.

Tipp 4: Mädchen und Jungen stärken
Ermutigen Sie ihr Kind, Gefühle auszudrücken und wenn es weinen muss, gerne auch zu weinen. Bestärken Sie es darin, sowohl Freundinnen als auch Freunde zu haben. Fördern Sie Bewegung und Rennen und Toben … Der Alltag ist durchzogen von so Kleinigkeiten, bei denen es keine Rolle spielen sollte, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen ist. Denn Rosa und Hellblau sind für alle da.

Weitere Informationen zum Artikel von Professor Beelmann für die Fachzeitschrift «Child Development» finden Sie unter:
Mehr zum Artikel

Globegarden Bildungstipp:
Der Junge im Rock. Kerstin Brichzin. 2018
Echte Kerle. Manuela Otten. 2018

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